SPINE RACE GROßBRITANNIEN 2016


1. Vorbereitung

Es ist wohl eine der spannendsten, härtesten und abwechslungsreichsten Laufveranstaltung der Welt. Um hierbei teilzunehmen muss man wohl ein wenig verrückt sein. Ich hoffe dies wird in meinen nun folgenden Ausführungen deutlich. Ich kann es auch nur ansatzweise beschreiben.
Anfang letzten Jahres veröffentlichte Michael Frenz alias „Meldeläufer“ einen Post per Gesichtsbuch und schrieb einen gesponserten Platz beim SPINE Race 2016 aus. Ich hatte das letzt jährige Rennen am Rande verfolgt und natürlich mitbekommen, dass die Läufer merklich mit Stürmen, Eis und einer Rennunterbrechung zu kämpfen hatten. Nach dem Lesen, überlegte ich kurz und jagte eine kurze E-Mail ins World Wide Web und hoffte auf eine Zusage. Ich traute mir dieses Rennen zu und wollte diese Erfahrung unbedingt einmal erleben, um es mal gemacht zu haben. Ich hatte mich auch schon im Vorjahr bei Michael um einen gesponserten Platz beworben. Hierbei hatte jedoch ein anderer Glücklicher den Zuschlag erhalten. Ein paar Wochen später klingelte mein Telefon und Michael war an der Strippe. Dann kam die ersehnte Nachricht, dass mich das Losglück unter den zahlreichen Bewerbern erwischt hatte und ich nun etwas unter einem Jahr Zeit für die Vorbereitung habe.
Zunächst hatte Michael die Idee, dass er recht flott das Finish anstrebt und in fünf Tagen am Ziel sein wollte. Allerdings wollte er dieses Ziel auch nur bei optimalem Wetter verfolgen und bei Shit-Wetter war er auch mit einem einfachen Finish im gesetzten Zeitlimit einverstanden. Aufgrund dieser Tatsache war ich sehr erleichtert und hoffte insgeheim auf nicht ganz so optimales Wetter, da ich lediglich dabei sein und das Ziel sehen wollte. Notfalls wäre ich aber auch mit dem flotten Tritt einverstanden gewesen. Dies hätte allerdings erheblich mehr Stress bedeutet. Mittlerweile ist mir diese Zeitenjagd egal und ich will die Läufe einfach genießen bzw. die Landschaft auf mich wirken lassen. Der Spaß muss im Vordergrund stehen. Alles andere ist Zugabe.
Nach dem Telefonat flossen einige Monate ins Land und ich kümmerte mich vordergründig um meinen Welpen HOMER. Das Laufen stand deutlich im Hintergrund. Das SPINE-Race schwebte jedoch wie ein Geist im Hinterkopf. Ich dachte zwar beiläufig daran, ohne mich hierdurch jedoch unnötig zu stressen. Es war ja noch genügend Zeit und die Grundfitness passte. Es wird schon irgendwie hinhauen.
Mitte des Jahres schloss sich ein weiterer Läufer, Andreas Siebert, unseren Plan an. Dieser hatte das letzt jährige Rennen mit Michael erfolgreich beendet. Weiterhin meldete Thomas Ehmke seine Teilnahme an. Somit dachte ich, dass ich nun genügend Erfahrung um mich herum haben werde und wir ein gutes Team bilden werden. Umso näher der Termin rückte beschäftigten wir uns mit der Flug- und Hotelbuchung. Glücklicherweise hatte Michael und Andreas diesbezüglich schon einige Erfahrungswerte und nahm mir die Buchung der Unterkünfte ab, sodass ich mich nur noch um den Flug kümmern musste. Die Buchung der Bahnreise vor Ort übernahm Andreas. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf knapp über 500 € pro Person.
Im Oktober wurden die Planungen zunehmend konkreter und ich besorgte mir von Michael die fehlende Ausrüstung. Dies war zwar nicht ganz billig, aber dafür hatte ich nun hochwertiges Material (Wasserdichter Schlafsack, Regenjacken, Wärmeschutz, Wasserdichte Handschuhe, Wasserdichte Socke, 30 Liter Rucksack), um mit guten Gewissen die Herausforderung anzugehen. Schließlich kann man das Material ja auch für zukünftige Abenteuer einsetzen. Neben den eben genannten Gegenständen besorgte ich mir über das Internet noch PERONIN (Ersatzsportlernahrung – Kein Doping !!!!), ein Bivi-Zelt, zwei paar knöchelhohe Wanderschuhe, Kartematerial, eine neue leichte Schlafmatte, Schneeteller für die Stöcke, wasserdichte Packsäcke, zwei Ersatzakkus für die Stirnlampe, zwei neue Outdoor/Wanderhosen, einen Steckadapter für englische Steckdosen, und die medizinische Pflichtausrüstung. Insgesamt kam hier Material im Wert von knapp über 2200 € zusammen. Ein ganz schöner Batzen.
Kurz darauf traf die Ware bei mir ein und es kam erstmal in die Chaosecke. Es war ja noch knapp einen Monat bis zum Start Zeit und das Packen wird schon irgendwie klappen. Der bestellte Rucksack mit einem Fassungsvermögen sah nach dem ersten Blick zwar etwas knapp aus, doch ich machte diesbezüglich mir keine Sorgen. Es wird schon alles reinpassen. Es hat bisher immer alles funktioniert. Ich  packe ja immer kurz vor Toresschluss. Da steckt halt noch etwas die CABA Mentalität in mir.
Kurz vor Silvester begann ich mit den Packarbeiten, wobei ist feststellen musste, dass ich bei dem bestellten Rucksack zu sehr stopfen musste. Somit stieg ich auf meinen vorhandenen Trekkingrucksack mit einem Fassungsvermögen von unglaublichen und überdimensionierten 80 Litern um. Dieser war zwar deutlich zu groß und schwerer, aber dafür bekam ich mein Gerödel bequem ohne lästiges Stopfen unter. Die paar Extragramm werden mich schon nicht umbringen.
Tage später rückte der Abflugtermin immer näher und ich war wie das ganze Jahr noch relaxt. Es ist ja nur ein Lauf und ich schaue einfach mal wie es läuft. Die einzige Sorge bereitete mir die in den Nachrichten behandelte Flutkatastrophe, welche England und speziell die von uns durchlaufenden Gebiete stark unter Wasser gesetzt hatte. Nach erneuter Rücksprache nahm mir Michael jedoch meine Zweifel und schilderte, dass der Veranstalter schon eine Lösung finden wird. Mittlerweile waren wir aufgrund der vorherrschenden Wetterbedingungen auch definitiv von dem Ziel mit dem Finish in fünf Tagen abgerückt. Das Finish und das Überleben war das Ziel. Das bisschen Wandern werde ich schon überstehen.
Am Mittwoch, den 06.01.2016, begann nun die Reise. Per Bahn reiste ich nach Düsseldorf und traf am Flughafen auf Michael und Andreas Siebert. Thomas hatte seine Teilnahme verletzungsbedingt absagen müssen. Bei Andreas war es ein ähnlicher Fall. Er war kurz vor den Weihnachtsfeiertagen schmerzhaft umgeknickt und hatte seinen Start eigentlich schon abgeschrieben. Sein Plan war, dass er als Helfer teilnimmt. Vorsichtshalber hatte er sein ganzes Zeug jedoch dabei, falls es der Knöchel es zufälligerweise zulässt und es in den Füßen juckt.
Der Flug verlief ohne Probleme und in Manchester nächtigten wir in einem Luxusloft, welches Andreas zu einem Schnäppchenpreis gebucht hatte. In Manchester schlugen wir uns die Bäuche voll und besorgten uns im nahe gelegen Outdoor-Laden die restliche fehlende Ausrüstung insbesondere eine per Flieger verbotene Gaskartusche. Die Kosten hierfür beliefen sich auf etwa 60 €.
Am darauf folgenden Tag reisten wir per Bahn nach Chinley und bezogen unser Quartier in „Klein Hogwarts“. Anschließend wanderten wir noch auf den nahe gelegenen Hügel rauf, wo uns schon die ersten Eindrücke von dem Rennen insbesondere der atemberaubende Wind um die Ohren geweht wurde. Die Landschaft war einmalig und die erste Nässe war in meinen Schuhen zu spüren. Von diesen Eindrücken angestachelt merkte man, wie Andreas in Grübeln kam und sich schließlich zu einem Start durchrang. Wir waren somit ein Dreierteam und genossen am Abend ein zünftiges Mahl in Form von Fish and Chips in Verbindung mit einem oder auch zwei bekömmlichen Guinness. Die Vorfreude wuchs und die Rucksäcke wurden endgepackt.
Am nächsten Morgen ging es per Bahn zur Ausrüstungskontrolle und Briefing zum Startort in Edale. Bei der Registrierung wurde per Los entschieden, ob eine stichprobenartige oder komplette Kontrolle der Pflichtausrüstung erfolgt. Ich zog das komplette Programm. Ich hatte natürlich alles dabei und bestimmt einen der größten/schwersten Rucksäcke der Teilnehmer. Mein Rucksack wog etwa neun Kilogramm ohne das noch später eingefüllte Wasser. Für mich war das Gewicht jedoch angenehm zu tragen. Ich hatte diesbezüglich keine Bedenken. Im Anschluss stand das Briefing und einem Treffen mit Pavel Paloncy an. Dieser ist ebenfalls Mitglied vom Team Meldeläufer und hatte das Rennen im Vorjahr gewonnen. Wir hatten andere Ziele. Ebenfalls trafen wir auf zwei Deutsche, Jens Gibis und Klaus von Brocken, welche über die kürzere Distanz an den Start gingen.
Gegen Abend fuhren wir mit dem Zug zurück nach Chinley und genossen eine weitere englische Kalorienbombe im Rittersaal des Hotels. Natürlich war auch wieder ein Guiness dabei. Nun konnten wir wohl die letzte geruhsame Nacht der nächsten Tagen genießen.

2. Der erste Renntag von Edale nach Hebden Bridge

Am nächsten Morgen war es dann endlich soweit. Nach einem typischen englischen Frühstück ließen wir uns zum Start fahren. Dort trafen wir auch auf zwei weitere deutsche Starter mit Martin Ottersbach und Constanze Escher, welche sich ebenfalls das Finish über die lange Strecke fest vorgenommen hatten. Um 10 Uhr fiel der Startschuss und die 77 Starter machten sich auf den Weg. Es nieselte leicht. Die Stimmung war gut.
Auf den ersten Meter des Pennine Way erwarteten uns zunächst kaum Schwierigkeiten. Die Wegbeschaffenheit war erstaunlich gut und die Hochmoore mit den Plattenwegen hatten wenige Wackelsteine bzw. größere Wasserlöcher, welche übersprungen werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir noch springen. Auch meinte es der Wettergott mit uns gut und ließ nur ab und zu die Schotten öffnen, sodass ich die ersten 4 Stunden mit trockenen Füßen laufen konnte.
Im letzten Jahr war in diesem Bereich bereits meist vereist und das Terrain war wesentlich schwieriger zu laufen. Nach etwa 10 Kilometern kamen wir am Wasserfall "Kinder Downfall" vorbei. Dort wehte ein steife, jedoch nicht zu heftige Briese. Bei starkem Wind wird das abfallende Wasser normalerweise nach oben geweht und man kann einen in die Luft verlaufenden Wasserfall beobachtet. Dieses Naturschauspiel wurde uns jedoch nicht vergönnt, da es verhältnismäßig windstill war.
Kurz nach dem Wasserfall entzerrte sich das Feld zunehmend und es ging durch eine enge, teilweise sumpfige Schlucht zum ersten richtigen Gipfel. Hierbei musste man mehrfach die Seiten der Schlucht wechseln und durch Tritte auf das berüchtigte Büschelgras den Pfützen ausweichen. Von meinen Mitläufern wurde mir gesagt, dass man den von uns vorgefunden Bedingungen noch den Status „gut laufbar“ geben konnte. Teilweise empfand ich es als grenzwertig. Aber so hatte ich es auch erwartet. Das Leben ist kein Ponyhof.
Nach etwa 25 Kilometern und fünf Stunden erreichten wir einen größeres Wasser Reservoir in Torside. Es war ziemlich warm, weshalb Michael und Andreas einige Oberbekleidungsstücke, insbesondere die Regenhose ablegten. Ich behielt die Regenhose an, da ich dem Wetter nicht ganz traute und sich der Hitzestau bei mir in Grenzen hielt. Weiterhin begann es zunehmend zu dämmern und auf einen erneuten Kleiderwechsel in der Nacht hatte ich keinen Bock. Anschließend starteten wir den Aufstieg zum Black Hill. Pünktlich zur Dunkelheit waren wir kurz vor dem Gipfel und schalteten unsere Stirnlampen ein.
Im Anschluss wurde es immer schwieriger die vorhandenen Wegstrukturen zu erkennen. So war ich nun bereits zweimal mit meinen Schuhen bis zum Knöchel im Wasser versunken und das Wasser war im Schuh. Glücklicherweise hielten die wasserdichten Socken das Wasser noch von meinen Füßen ab. Dies war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis der Membran durchlässig wurde. Zudem kam jetzt das Wasser von oben, weshalb ich nun froh war, dass ich meine Regenhose anbehalten hatte. Schritt für Schritt ging es weiter durch die Nacht.
Nach diesen unangenehmen Erfahrungen bezüglich meiner Füße begannen wieder endlose Plattenwege zum Gipfel. Hierbei liefen wir mehrfach auf andere Läufer auf und wurden auch von anderen eingeholt, weshalb man eine Perlenkette von Glühwürmchen in der Nacht erkennen konnte. Es ging weiter auf und ab. Gegen 20 Uhr kamen wir an einer Straßenquerung, dem Kontrollpunkt (Harrop Dale), an. Dieses war ein überdachtes Zelt und es gab warmen Tee. Von außen hörte man den Regen an Zeltwände schlagen und man wollte eigentlich gar nicht weiterlaufen. Da der nächste Pub jedoch nur noch etwa zwei fußläufige Stunden entfernt war, musste es weitergehen. So schön es in diesem Zelt auch war.
Der nächste Streckenabschnitt war dann die absolute Krönung. Zunächst lag ein leicht steiniger Untergrund vor uns, welcher sich im weiteren Verlauf jedoch schnell zum Schlamm des Grauens entwickelte. Schon beim Ausleuchten der Strecke konnten wir erkennen, dass quasi kein fester Untergrund vorhanden war. Am Rand sah man knöcheltiefe Trittspuren und es half nur eine Methode. Mitten durch. Meine Schuhe und Strümpfe waren nun komplett durchnässt und ich dachte bei mir: „Auf was habe ich mich hier eingelassen?“. Diese Pampe ging noch etwa zwei Kilometer weiter, bis man wieder einen normalen Weg erkennen konnte. Das einzige, was ich mental am Leben hielt, war der Pub, um dort auf trockene Stümpfe zu wechseln und eine warme Mahlzeit zu verschlingen.
Um 22 Uhr war es dann vollbracht. Das Felsenmeer "Blackstone Edge" hatten wir hinter uns gelassen und die Lichter der Wirtschaft „The Whitehouse“ kamen näher. Dort angekommen gab es ausreichend Tee, eine Gulaschsuppe und wir konnten unsere durchnässten Kleider etwas trocknen. Nach etwa einer Stunde machten wir uns wieder auf den Weg. Ich wechselte jetzt auf die wasserdichten Handschuhe und hatte wieder trockene Socken an. Was für eine Wohltat für die Mauken und die kalten Finger. Beim Losgehen wurde uns gesagt, dass sich wohl nur noch fünf Läufer hinter uns befinden. Dies war uns jedoch egal. Wir lagen noch gut in der Zeit und mussten uns über den CutOff keine Sorgen machen. Der Kilometer 55 war geschafft. Leider musste ich später feststellen, dass ich dort einen meiner dünnen Handschuhe vergessen hatte. Naja, ein bisschen Schwund ist immer.
Der anschließend breite Wirtschaftsweg mündete kurz darauf wieder auf einen Plattenweg und wir stiegen auf zum windigen Stodley Pike Denkmal. Von dort ging es meist matschig auf und ab. So lief ich mehrfach auf dem Büschelgraß, was halbwegs erträglich und trittfest war. Kurz vor vier Uhr kam der erste Checkpoint (Hebden Bridge) bei Kilometer 75 immer näher. Kurz vor dem Erreichen mussten wir noch einen buchstäblichen Bachlauf hinab gleiten. Die Schuhe und Strümpfe waren jedoch schon wieder nass, weshalb es egal war, da der nächste Kleiderwechsel im Checkpoint bevorstand. Nun war ein gutes Zeitmanagement angesagt, da wir wegen des CutOffs schon um 8 Uhr weiterlaufen mussten. In den verbleibenden Stunden mussten wir somit essen, Sachen trocken und dazu noch ein paar Stunden schlafen. Dies gelang erstaunlich gut und ich konnte mir bestimmt eine Mütze von 2 Stunden Schlaf im Doppelstockbett der Jugendherberge gönnen.

3. Der zweite Renntag von Hebden Bridge nach Malham

Am Sonntag, gegen 06:30 Uhr, starteten wir bei den ersten Sonnenstrahlen nach einem guten Frühstück zur nächsten Etappe. Über Nacht hatte es leicht geschneit und die folgenden Wege waren bei dem Schneematsch im begrenzten Maße laufbar. Schon jetzt trabten wir kaum noch und waren nur noch im flotten Wanderschritt unterwegs. Nach etwa 10 Kilometern riss von einem meiner Schuhe der Schnürsenkel, was durch ein grobes Flicken jedoch wieder behoben werden konnte. Durch das Wandern hatte der Fuß ja nicht ganz so viel Spiel, sodass dies für mich kein Problem darstellte. Je weiter wir kamen, umso mehr sank meine Laune in den Keller. Der Matsch hörte einfach nicht auf und die Wasserlöcher, welche umgangen oder übersprungen werden mussten, wurden immer mehr. Ich kam ins Grübeln und Gedanken hinsichtlich einer Rennaufgabe kamen mir in den Sinn. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich diese Pampe vier oder fünf Tage weiter ertragen kann. Meine Schuhe und Strümpfe waren klatschenass. Jedoch kam mir immer wieder in den Sinn, dass dies kein vernünftiger Grund zur Rennraufgabe ist, solange keine ernsthafte Verletzung bei mir vorliegt.
Gegen 18:00 Uhr trafen wir an dem zweiten Pub auf der Route ein. Mental war ich auf einem unteren Level und auch ein gutes Mahl konnte meine Laune kaum heben. Dazu kam jetzt auch eine schleichende Müdigkeit. Ich hing auf der Bank wie ein alter Sack und die Augen fielen mir im Sitzen zu. Kurz vor unserem Aufbruch kam Michael zu uns und gab an, dass er das Rennen hier verletzungsbedingt beenden musste. Er hatte bereits auf dem Weg zum Pub merkliche Probleme unserem Tempo zu folgen und wollte unser Finish nicht gefährden. Etwas niedergeschlagen setzen Andreas und ich das Rennen etwa eine Stunde später als Duo fort.  Andreas kannte den Weg und so konnte ich mich weiter auf das Laufen konzentrieren, ohne ständig das Navigationsgerät zu zücken.
Die folgende Strecke zum dritten Pub war wieder ein auf- und ab und führte uns über ein Wiesengelände, was man als solches kaum bezeichnen konnte. Wiese war kaum noch vorhanden. Dafür Schlamm, Schlamm, Schlamm. Dazu kamen bei mir immer mehr Bauchschmerzen in Verbindung mit Magenkrämpfen auf, wodurch mir ein Vorankommen als pure Schinderei vorkam.  Zwischendurch wurden diese Schmerzen durch von Andreas gereichten Ingwer gelindert, doch ein angenehmes Laufen sah anders aus. Nach etwa zwei Stunden war der Pub erreicht, wo ich mich der angesammelten Magensäuren entledigen konnte. Jetzt ging es mir besser und ein Tee beruhigte den Magen nochmals ein gutes Stück mehr. Schließlich wünschte uns Michael, welcher zwischendurch an den Pub gefahren wurde, ein gutes Weiterkommen und wir setzten unsere Reise fort.
Nun folgten die berüchtigten Sümpfe von Gargrave. Anfangs war es halbwegs human und wurde immer unwegsamer. Trotzdem kamen wir gut voran und holten bestimmt zehn Läufer ein. Hierbei mussten wir nach einer Mauerquerung feststellen, dass der weitere Weg quasi nur durch das knöcheltiefes Wasser führte. Wir stocherten zwar mehrfach mit unseren Stöcken zwecks Suche nach einer flachen Stelle herum, doch letztendlich half nur der Weg mittendurch. Nass waren unsere Schuhe eh. Insgesamt hatte ich mir dieses Stück gemäß den Erzählungen wesentlich sumpfiger vorgestellt. Es hielt sich noch im Rahmen.
Kurz nach Mitternacht trafen wir in Malham ein und schlugen unser Nachtlage in einer öffentlichen Toilette auf. Hier war es trocken und einigermaßen warm. Der Outdoor Zeltplatz am See beim etwa 7 Kilometer entfernten Checkpoint wäre sicher kälter gewesen. Nun lagen bereits 145 Kilometer hinter uns. Mein Tiefpunkt war überschritten und die Gedanken bezüglich einer Rennaufgabe waren in weite Ferne gerückt. Die Motivation stieg mit jedem weiteren Kilometer an. Irgendwie hatte ich mich mittlerweile mit dem Elend abgefunden.

4. Dritter Renntag von Malham nach Hawes

Gegen 03:00 Uhr wurden wir plötzlich wach, als eine weitere, ebenfalls in der Toilette nächtigende Mitläuferin mit deren Gasgartusche hantierte. Daraufhin konnten wir jedoch noch ein Stündchen pennen. Gegen 05:00 Uhr starteten wir und konnten bei Dämmerung den Anstieg zum Malham Cove beginnen. Hierbei handelt es sich um einen ausgetrockneten Wasserfall, wo der Weg selbst bei Tageslicht kaum erkennbar war und wegen der groben Struktur nur langsam passierbar war. Es war eindeutig die richtige Entscheidung, dass wir vor dieser Passage eine Ruhepause eingelegt hatten. Im Delirium kann dies schnell zu einem Umknicken führen und das Rennen ist an dieser Stelle zu Ende.
Gegen 07:00 kamen wir am Checkpoint an und zogen uns jeweils eine Tütensuppe rein. Diese weckte neue Kräfte, sodass wir kurz darauf wieder starten konnten. An diesem Checkpoint war auch schon Constanze, welche die Nacht durchgelaufen war und dort ihre Ruhepause einlegte.
Bei den nächsten Meter zum Fountains Fell wurde der Schnee immer mehr, wobei mir diese Bedingungen mehr entgegen kamen. Der Untergrund war verharscht und trittfest. Dies war mir wesentlich lieber als dies Matsche-Pampe. Danach folgte der Anstieg zum Penyghent, welcher sich als traumhaft gestaltete. Zunächst stiegen wir durch eine Nebelwand immer höher und kletterte teilweise halsbrecherisch einen Klippe zum Gipfel hinauf. Bei Tageslicht empfand ich dies als durchaus machbar. Bei Nacht kann jeder falsche Schritt einen Absturz bedeutet. Mehrfach blickte ich zaghaft nach hinten/unten und malte mir den Ernstfall aus. Mein leichter Höhenrespekt machte sich bemerkbar. Somit konzentrierte ich mich auf den Aufstieg. Oben angekommen wurden wir dann von einer traumhaften Aussicht belohnt. Dies Sonne war am strahlen und die Berggipfel schauten aus dem Nebelmeer heraus. Hierbei dachte man nur, dass man für den ganzen vorherigen Urz entschädigt wurde. Genaue dafür hatte sich die Schinderei gelohnt.
Vorsichtig gingen wir hinab und kamen gegen 12:00 Uhr im Cafe in Horten in Ribblesdale an. Dort gab es die Möglichkeit fehlende Ausrüstung nachzukaufen und auch etwas für das leibliche Wohl käuflich zu erwerben. Ich genoss ein großes Sandwich und einen Tee. Kurz darauf konnten wir wieder loslegen. Wiederum begann eine Berg- und Talfahrt, ehe wir uns flott über eine verschneite High Road uns immer näher Richtung dem zweiten Checkpoint in Hawes bei Kilometer 185 kämpften. Andreas merkte man immer mehr an, dass sein Knie schmerzte und das Laufen trotz Schmerztablette kaum mehr möglich war. Diese ließ etwa vier Kilometer vor dem Checkpoint schlagartig nach. Kurz vor der Dämmerung gegen 17:00 Uhr erreichten wir den Checkpoint. Andreas musste hier leider ebenfalls die Segel streichen. Es machte für ihn einfach keinen Sinn mehr. Der angeknackste Knöchel war kein Problem. Durch die angewandte Schonhaltung hatte er sich jedoch die Knieverletzung zugezogen, welche ein Weitermachen unmöglich machte.
Ich musste nun eine Entscheidung treffen. Die nächste CutOff Zeit war 22:00 Uhr, sodass ich nun etwa fünf Stunden zum Weitermachen Zeit hatte. Generell fühlte ich mich gut und beschloss, nun leider alleine, meinen Weg ohne Schlaf nach einer kurzen Rast fortzusetzen.

5. Vierter Renntag von Hawes nach Middleton

Gegen 18:30 Uhr brach ich also wieder auf und war nun auf mich alleine gestellt. Dies bedeutete, dass ich nun verstärkte auf mein Navigationsgerät schauen musste, um keine Umwege zu laufen. Dies gelang auch meist, wobei ich das vorherige Laufen mit der Unterstützung von Andreas und Michael als deutlich angenehmer empfand. Flotten Schrittes stieg ich zum Great Shunner Fell hinauf. Der Schneefall wurde immer dichter. Wege waren nicht mehr erkennbar.  Glücklicherweise hatten kurz vor mir ein oder mehrere Läufer die Strecke passiert, sodass ich den Spuren im Neuschnee folgen und mich nicht auf das Navigieren verlassen musste. Ich konnte sogar teilweise traben und durch den Schnee springen. Der Spaß war zurück.
Beim Abstieg machte sich jedoch die zunehmende Müdigkeit bei mir bemerkbar. Ich wurde zunehmend unkonzentrierte und wollte einfach nur noch schlafen. Da ein Aufschlagen des mitgenommen Bivi-Zeltes keine wirkliche Option für mich war, beschloss ich einen der an der Strecke befindlichen Schafställe zu benutzen. Bei dem ersten Stall erwischte ich jedoch eine Niete. Beim Öffnen der Tür sah ich ein verendetes Schaf, sodass ich ohne Kommentar meinen Trott fortsetzte. So verzweifelt war ich nun auch nicht. Etwa fünf Kilometer später versuchte ich mein Glück erneut. Dieser Schafstall war zwar leer, doch muffelte sehr. Ich ging weiter. Beim der dritten Möglichkeit wurde ich dann endlich fündig. Nach kurzen Problemen mit den Öffnen der Tür, machte ich es mir gegen 00:30 Uhr auf den Heuboden für etwa anderthalb Stunden bequem. Nach dem Aufwachen, natürlich musste der Wecker gestellt werden, packte ich fröstelnd meine Sachen zusammen und konnte merklich besser die weitere Wegstrecke bestreiten.
Kurz darauf erreichte ich gegen 03:00 Uhr den Kontrollpunkt Tan Hill, von wo ich nach einem kurzen Verlaufer mit einem Mitkonkurrenten ins  Sleghthome Moor startete. Hier war wiederum keine wirkliche Wegstruktur erkennbar, sodass mein Navigationsgerät mich im groben auf der Strecke hielt. Die Stirnlampe meines Mitkonkurrenten ließ ich schnell hinter mir und sah sie bald nicht mehr.  Ich denke aber, dass er heile durch das Moor durchgekommen ist. Auch diese Qual war irgendwann mit der aufkommenden Dämmerung vorbei, sodass man zwischendurch auch mal  einen breiten, ausgebauten Wirtschaftsweg laufen konnte. Dieses Teilstück war aber auch nicht ohne. Manche asphaltierte Abschnitte waren spiegelglatt. In diesem Rahmen lief ich auf einen weiteren Läufer auf und wir mussten teilweise nach kleineren Verlaufen Stacheldraht artistisch übersteigen. Dieser Läufer musste später abreisen lassen und ich war wieder alleine.
So schnell das Tageslicht kam, so schnell kam auch wieder die Dunkelheit. Meine Beine und Augen wurden wieder schwerer und ich hatte stark mit mir zu kämpfen. Ich dachte mir aber, dass ich mich jetzt nur bis zum dritten Checkpoint in Middleton schleppen muss. Dies war der letzte wirkliche CutOff, welcher zu meistern war. Unheimlich zäh ging es auf und ab, auf und ab und so weiter. Ich schaute mehrfach auf die Uhr und sehnte den Sonnenaufgang herbei. Mit dem Sonnenaufgang wurde ich wacher und die Müdigkeit war verschwunden. In der weiten Ferne konnte man einen Gipfel mit einem Baum erkennen, von wo es nur noch abwärts zum Checkpoint ging. Mehrfach lief ich aus Unachtsamkeit an Wegen vorbei und musste durch Überklettern der Steinmauern, an Schafherden vorbei meinen Kurs korrigieren. Auf dem Gipfel angekommen sah ich endlich im Tal mein Etappenziel.
Butterweich trabte ich auf der leicht durchnässten Wiese hinab und konnte am Dienstag, gegen 11:00 Uhr am Checkpoint einlaufen. Nun hatte ich bis zum Weiterlaufen 11 Stunden Zeit und war bei Kilometer 240 angelangt. Mehr als die Hälfte war vollbracht und ich war bisher verletzungsfrei. Auch das alleinige Navigieren mit ein paar Umwegen im unbekannten Terrain hatte gut funktioniert.  Dort angekommen erwartete mich Michael, welcher nach einer Aufgabe von einem Streckenposten dorthin gefahren wurde. Weiterhin waren an den Tischen Zettel angebracht, dass es im folgenden Abschnitt eine Alternative über die parallel verlaufende Hauptverkehrsstraße gelaufen wird. Die Originalstrecke wäre geflutet. In diesem Glauben legte ich mich gegen 13:00 Uhr nach einer Dusche für knapp drei Stunden ins Bett.

6. Fünfter Renntag von Middleton nach Alston

Kurz vor der Dämmerung gegen 17:00 Uhr brach ich wieder auf, um ein großzügiges Polster auf den CutOff zu behalten bzw. auszubauen. Ich hielt mich wir auf dem Zettel angegeben an die Alternative und wanderte die Straße ab. Etwa nach einer halben Stunde kamen zwei Marschalls auf mich zu und sagten zu mir, dass ich auf der falschen Strecke sei und die offizielle Route laufen müsse. Da ich mir aber sicher war, dass ich auf der offiziellen Umleitung war, lief ich weiter, ohne mich davon beirren zu lassen. Etwa zehn Minuten später kamen die Marshalls jedoch erneut zu mir und verlangten, dass ich die Flussseite auf die normale, von mir geglaubte überflutet Route wechseln solle. Nach mehrfachem Diskutieren wurde mir von der Rennleitung gesagt, dass die auf den Zettel genannte Umleitung ohne meine Kenntnis erneut geändert wurde und lediglich ein Teilstück vor dem Wasserfall "Cauldon Snout" unpassierbar sei. Diesbezüglich sei auch eine Umleitung ausgeschildert, welche jedoch erst im späteren Verlauf der Originalroute gelaufen werden muss. Nachdem mir dies geklärt war, querte ich bereitwillig an der nächsten Brücke den Fluss und war auf der Originalroute.
Im Nachhinein habe ich erfahren, dass mir diese Diskutierpassage von einem Betrachter über Facebook, welcher meinen Tracker mitverfolgt hatte, als Erleichterung angelastet wurde. Ich muss zugeben, dass es von außen komisch ausgesehen und verdächtig gewirkt hatte.  Dieses Missverständnis wurde jedoch nach dem Rennen und Erläuterung der genauen Hintergründe ausgeräumt. Ich wollte meinen Weg somit nicht erleichtern und habe mich an die geglaubte Umleitung gehalten. Die nochmalige Änderung hatte ich nicht mitbekommen.
So setzte ich meinen Weg auf der Originalroute fort und verpasste die geplante Umleitung der gefluteten und gefährlichen Passage. Ich behielt aber die Nerven und dachte bis vor dem Tal zum Wasserfall, dass sie noch irgendwann kommen wird. Letztendlich war ich dann aber in dem Tal und an der Felswand und es gab kein Zurück mehr. Jetzt musste ich irgendwie da durch. Eine Umkehr stand für mich nicht zur Debatte.  Das angeblich unpassierbare Teilstück empfand ich aber als nicht so schlimm. Man musste sicherlich ein paar mal über Wackersteine steigen und die Holzbrücken waren fast bis zu den Latten geflutet bzw. glitschig. Da hatte ich die Passagen am zweiten und dritten Tag als wesentlich unangenehmer empfunden.
Das Rauschen des Wasserfalls kam immer näher und plötzlich sah ich am Fuße zwei auf mich wartende Stirnlampen. Diese waren die Marschalls, welche mich eben angesprochen hatten. In dem Tal war kein GPS-Empfang und der Veranstalter hatte mich für eine Zeit von etwa anderthalb Stunden nicht mehr auf dem Radar. So sind mir die Marschalls entgegen gelaufen, um mich nach mir zu schauen bzw. mich wieder auf den rechten Weg zu bringen. Beide zeigten mir anschließend eine Kletterweg zum Staudamm und brachten mich auf die richtige Route. Im Endeffekt bin ich unwissentlich den offiziellen Weg gegangen, obwohl dieser vom Veranstalter aufgrund des hohen Wasserstandes umgangen werden sollte. Hauptsache ich bin heile durch gekommen und es ist nicht passiert. Einen Vorteil hatte ich mir hierdurch nicht verschafft, sodass ich mit ruhigem Gewissen meinen Weg fortsetzen konnte.
Beim anschließenden Teilstück nach Dufton wurde der Schnee immer dichter und der Untergrund rutschiger. Ich musste mich mehrfach auf den Hosenboden setzen, sodass ich bis bald komplett durchnässt und entsprechend mies gelaunt war.  Kurz vor Mitternacht kam ich Dufton bei Kilometer 267 an. Ich begann gleich den Anstieg zum Cross Fell. Es war ja nur noch ein Berg und mittendrin gab es mit Gregs Hut eine Berghütte mit Verpflegung. Diesbezüglich dachte ich, dass dieses Teilstück wohl keine großen Probleme darstellen wird. Da hatte ich mich wohl getäuscht.
Ich stieg immer höher und der Sturm insbesondere der Schnee wurde immer mehr. Ein Weg war nicht mehr erkennbar. Ab und zu sah mein ein paar aufgestellte Holzlatten, welche eine Markierung darstellte. Diese war jedoch auch nur sporadisch durch die schlechte Sicht für mich erkennbar, wodurch ich mehrfach rechts und links vom Weg abkam bzw. ich mich mühsam durch den Tiefschnee an die vorgegebene Linie zurückkämpfen musste. Dazu kam auch noch, dass mein GPS mehrfach größere Sprünge vollzog und ich merklich in Verbindung der Kälte und Müdigkeit verzweifelte. Zwischendurch fing ich an Dinge, insbesondere Bäume, zu sehen, welche faktisch auf diesen kahlen Berg gar nicht vorhanden sind. Halluzinationen sind schon was schönes. Mein einziger Anhaltspunkt war das springende GPS, welches mich kleckerweise in Richtung der Rettungshütte lotste. Ohne dieses GPS wäre komplett verloren und LOST im Nirgendwo gewesen. Nach vier endlosen Stunden sah ich am Horizont zwei Stirnlampen und war froh über das erste Zeichen einer Zivilisation seit langem. Anderseits hatte ich aber auch die Befürchtung, dass ich eventuell die falsche Richtung gelaufen bin und mich andere Läufer eingeholt haben. Glücklicherweise handelte es sich bei den Stirnlampenträgern um das Personal der Schutzhütte. Diese begleitet mich anschließend zur Hütte und päppelten mich mit Tee und Nudeln wieder auf.
Nach etwa einer Stunde war ich wieder aufgewärmt/aufgetaut und setzte meine Reise ins Tal fort. Hierbei fielen mir beim Gehen mehrfach die Augen zu. Ich perfektionierte die Technik „Schlafen während des Gehens.“. Dieses Powernapping rettete  mich bis zum Morgengrauen, sodass ich am Mittwoch, um 09:00 Uhr in Alston bei Kilometer 310 ankam. Jetzt waren es ja nur zwei Tagestouren mit knapp 120 Kilometer. Das sollte machbar sei.

7. Sechster Renntag von Alston nach Bellingham

Nach etwa sechs Stunden war ich wieder einigermaßen ausgeschlafen und die Sachen waren getrocknet. So ging ich gegen 16:00 Uhr weiter, um zu mindestens noch eine Stunde Tageslicht zu erhaschen. Bei Aufkommen der Dunkelheit wurde das schneematschige und teilwiese sumpfige Geläuf wieder deutlich schwieriger passierbar und ich kam nur langsam, wenn auch stetig voran. Zudem kroch langsam die Kälte in mich hinein und ich hoffte, dass ich den Pub in Greenhead (Kilometer 330) noch zu Öffnungszeiten erreichen werde. Ich wollte einfach nur meine Sache trocknen und etwas Vernünftiges zwischen die Kiemen bekommen. Zu meinem Pech kam ich jedoch erst um 23:05 Uhr dort an. Alles war geschlossen.
Enttäuscht trotte ich entlang der Route weiter. In diesem Moment fuhr ein Schneeräumfahrzeug an mir vorbei und schaufelte mir diesen nassen Klumberadatsch mitten ins Gesicht. Ich war restlos bedient und musste mir unter einem Vordach erstmal die Handschuhe für ein angenehmes Laufgefühl ausringen. Nach einem kurzen Hadern mit mir, setzte ich meinen Trott fort und erreichte kurz darauf den Eingang zum Hadrians Wall, welcher dieses Mal komplett gelaufen wurde, da die normale Strecke geflutet war.
Am Fuße des Walls befand sich eine öffentliche Toilette, welche mir aufgrund des vorhandenen Handlüfters zwecks Trocknung meiner Sachen sehr gelegen kam. Ein weiterer Pluspunkt war, dass mich ein Streckenposten mit selbstgebackenen Energieriegeln versorgte, welche mein Wohlbefinden merklich verbesserten. Letztendlich  zitterte ich mich einigermaßen warm und begann den Auf- und Abstieg der Wellen des Walles. Diese gestalteten sich als unheimlich zäh nahmen kein Ende. Zudem brach mir bei einem Abstieg ein Stock, weshalb ich den Rest des Rennens mit nur einer Stütze bestreiten musste. Bei Tageslicht ist dieses Teilstück wahrscheinlich wunderschön. Im Dunkeln stellt es einfach ein unheimlich zähes Brett dar. Man sah einfach kein Ende.
Irgendwann war auch dieses Stück geschafft und es ging nach links in den Wald des Grauens. Michael hatte mich diesbezüglich bereits vorgewarnt, da im Vorfahr über eine Strecke von etwa zwei Kilometern aufgrund des Matsches kaum ein Durchkommen war. Der jetzt herrschende Schnee hatte allerdings auch sein Gutes. Der Boden war gefroren bzw. mit Schnee bedeckt, sodass dieses Teilstück kein Problem darstellte. Nach Passieren des Waldes ging es noch über Felder auf und ab, ehe ich Donnerstag gegen 10:00 Uhr am fünften Checkpoint in Bellingham ankam. Nun war ich bei Kilometer 360. Das Ende war in greifbarer Nähe und ich beschloss mir vor dem letzten Teilstück ein ausgiebige Pause zu gönnen. Schließlich wollte ich die Cheviots bei Tageslicht genießen und genüsslich ins Ziel einlaufen. Ich hatte ja Zeit.

8.  Siebter Renntag von Bellingham nach Kirk Yetholm

Nach einer ausgiebigen Pause von etwa 10 Stunden, schließlich hatte ich ja genügend Puffer zum CutOff, machte ich mich gegen 22:00 wieder auf die Reise. Somit hatte ich keinen Druck hinsichtlich des Zeitlimits und war im Plan, dass ich die Cheviots bei Tageslicht absolvieren konnte. Zunächst kam ich gut voran, wobei  sich schon bald trotz der ausgedehnten Ruhe mein Schlafdefizit der vergangenen Tage bemerkbar machte. Dies merkte ich besonders, da ich mal wieder zur Nachtzeit unterwegs war und mein Kreislauf einfach in den Schongang schaltete.
Die ersten Schwierigkeiten bekam ich an der ersten Hochebene, welche schon knietief verschneit war. Anfangs konnte ich die Trittspuren meines Vorgängers nutzen. Aber auch diese waren bald vom Winde verweht, sodass ich meinen Weg durch die endlos wirkende verschneite Hochebene kämpfen musste. Irgendwann hatte auch diese hinter mir und begab mich auf eine offizielle Umleitung. Die Originalstrecke über eine weitere Hochebene war wegen Schneemassen gesperrt worden. Ich war froh, dass ich mich nun etwas während des Gehens ausruhen konnte und mir eine nochmalige Tortur erspart wurde. Insgeheim dachte ich mir aber auch, dass es schlimmer nicht kommen könnte.
Nach der Rückkehr auf die Originalroute schlossen sich breite, leicht verschneite Wirtschaftsweg in Richtung Byrness an. Der Blick in den absolut klaren Sternenhimmel entschädigte wieder mal für die erlittenen Strapazen. Da sich im näheren Umfeld zudem kaum Siedlungen befanden und  die Himmelskörper somit nicht angeleuchtet wurden, wirkten die Sterne zum Greifen nah. Einfach fantastisch. So schön der Anblick auch war, umso mehr kam die Müdigkeit in mir hoch. Gegen die aufkommende Kälte zog ich mir den Buff übers Gesicht. Hierbei merkte ich jedoch, dass mir aufgrund des damit verbundenen Sauerstoffmangels schummeriger wurde. Ich zog den Buff also wieder vom Gesicht und war wieder wacher. Dies war mir deutlich lieber. Der Wald zog sich zäh wie Gummi und ich musste mich mehrfach auf die Stöcke für ein kurzes Powernapping stützen. Am Freitag, um 02:30 Uhr hatte ich dann endlich Byrness bei Kilometer 385 erreicht und freute mich schon im Checkpoint auf eine warme Mahlzeit, um im Anschluss gestärkt die Cheviots anzugehen.
Irgendwie verpasste ich jedoch diesen Checkpoint und kletterte den Berg hinauf. Oben angekommen wurde mir bewusste, dass ich vorbei gelaufen war und nahm fernmündlichen Kontakt zur Rennleitung auf. Diese gab dann an, dass der Checkpoint im Tal im Ortskern, etwas abseits des Tracks, war. Da ich den Berg schon hinauf gestapft war, wollte ich die Rennleitung überzeugen, dass ich nun weiterlaufen darf. Dies wurde jedoch abgelehnt. Man bestand darauf, dass ich diesen Checkpoint anlaufe, um meine körperliche Verfassung vor den Kräfte raubenden Abschnitt mit den Cheviots zu begutachten. Zähneknirschend begann ich den rasanten Downhill. Hierbei kam mir Daniel Hendriksen entgegen, auf welchen ich später noch auflief.
Im Tal auf dem Weg zum Checkpoint kam mir ein Auto entgegen und zwei Marschalls sprachen mich an. Diese waren bereits von der Rennleitung über meinen Anruf informiert worden und baten mir an, dass ich ohne Einkehr in den Checkpoint im Falle eines guten körperlichen  und geistigen Zustanden sofort weiterlaufen könnte. Da ich eh schon auf 180 wegen der sinnlosen Meter war und mich gut fühlte, nahm ich das Angebot dankend an. Umgehend war ich wieder auf dem Gipfel und begann den Marsch auf den Cheviots. Jetzt waren es ja nur noch etwa 45 Kilometer, welche schon nicht so schlimm sein könnten.
Hierbei täusche ich mich gewaltig. Schon bald merke ich, dass keine Wegstruktur mehr erkennbar war und ich mich nur anhand des GPS halbwegs auf den Track halten konnte. Teilweise versank man schon wieder bis zu den Knien im Schnee und es bildete sich eine Menge an Eisklumpen rund um die Hosenbeine, meinem Stock und die Schuhe. Das Gewicht steigerte sich entsprechend, sodass an ein Laufen nicht zu denken war. Zu mindestens war es mittlerweile hell und ich ließ die Landschaft auf mich wirken. Von weitem sah ich in der Ferne, wie Daniel vor mir zerstampfte.  Ich kam ihm nicht wirklich näher.
Da meine Kräfte und meine Essensreserven zunehmend schwanden, begann ich zu Rationieren und mich nur noch im Schongang fortzubewegen. Das Ankommen wollte ich nun nicht mehr gefährden. Weiterhin wurden meine Riegel und Gels langsam knapp. Ich hatte diese Teilstück eindeutig unterschätzt und zuwenig Essen auf das Teilstück mitgenommen. Da musste ich jetzt durch. Nach einem zähen Kampf sah ich plötzlich eine Hütte. Beim Passieren kam ein Helfer auf mich zu und bat mir an, dass ich mich darin kurz aufwärmen und eine warme Mahlzeit zu mir nehmen könne. Diese unverhoffte Station hatte ich gar nicht auf dem Schirm und war umso mehr erfreut. In der Hütte saß auch Daniel. Fast zeitgleich verließen wir die Rettungshütte, wobei er immer noch etwa 200 Meter Vorsprung hatte.
Wir kämpften uns schließlich durch die von den Vorgängern gestapften Trittspuren, wobei dies aufgrund darunter liegender Wasserlöcher immer wieder unangenehme Überraschungen mit Eisklumpenbildung an den Schuhe darstellte. Nach etwa einer Stunde „Schneckenrennen“ hatte ich Daniel eingeholt und zog Schritt um Schritt von ihm davon. Später habe ich erfahren, dass dieses „Rennen“ von den Daheimgebliebenen als sehr spannend empfunden wurde. Tatsächlich war es Not gegen Elend. An irgendeine Platzierung hatte ich dabei nie gedacht. Ich wollte einfach nur vorankommen.
Trotz des immer noch herrschenden Tageslichtes wurde ich immer müder und musste mich mehrfach erschöpft auf die Arme gestützt in den Schnee fallen lassen, um eine Powernapping zu halten. Ich war mit den Kräften am Ende und die Kilometer auf der hügeligen, verschneiten Strecke wurden einfach nicht weniger. Aufgeben war aber keine Option.
Nachdem die Hügel hinter mir gelassen hatte, erreichte ich eine weite Gerade. Der Zaun in Richtung des entfernten Gipfels "King`s Seat" war fast gänzlich im Schnee versunken und meine Verzweiflung stieg. Nun kam ich gefühlt gar nicht mehr voran und konnte pro Stunde gerade einmal anderthalb Kilometer der Restkilometer zurücklegen. Der Abstand zu meinem Verfolger wuchs zwar stetig, doch man hatte nur das eigene Vorankommen im Kopf.
Weiterhin lief ich an einem Läufer vorbei, welcher aus einem mir unerfindlichen Grund mitten im Schnee stand. Dessen Stöcke steckte etwa 20 Meter von ihm entfernt im Schnee und er wirkte irgendwie verzweifelt. Persönlich hatte ich aber mehr mit mir zu tun und so hilflos wirkte er nun auch nicht. Also weiter im Programm.
Zunächst hangelte ich mich am Zaun entlang, um wenigstens eine gewisse Unterstützung bei diesem Tiefschnee zu erhalten. Mit zunehmender Dauer wurde dies für mich aber auch immer mühsamer, sodass ich auf vorhandene Trittspuren auswich. Nun fühlte ich mich deutlich wohler und sah meinen Verfolger bald nicht mehr. Mein gefühltes Tempo stieg an und ich erreichte den Gipfel, wo mich Nebel und ein Schneesturm erwartete. Langsam, mühsam, aber stetig orientierte ich mich mittels des GPS über die brüchige Schneedecke und gelangte bald über einen steilen Downhill bei Dämmerung die zweite Rettungshütte. Das Schlimmste war geschafft. Ich war erschöpft, aber erleichtert. Dort genoss ich um 16:15 Uhr ein Süppchen und übergab meine Gaspatrone. Diese benötigte ich ja nicht mehr und per Flieger durfte die auch nicht zurück nach Deutschland. So hatte sie noch einen Sinn.
Kurz vorm Verlassen der Hütte gaben sie mir nun auf dem Weg, dass es jetzt noch etwa 12 Kilometer seien und ich in drei bis vier Stunden im Ziel sein werde. Auch sah ich noch kurz Daniel, ehe ich den Endspurt begann.
Die folgenden Meter gestalteten sich bis auf ein paar kurze knackige Steigungen am Gipfel "Schill" vorwiegende flach bis hügelig. Nun war mir alles egal und die Vorfreude auf den Zieleinlauf stieg langsam in mir auf. Getrieben von der Euphorie folgte ich den Trittspuren im nun gut gehbaren Neuschnee bis ich auf meinem GPS feststellen musste, dass ich irgendwie vom Track abgewichen war. Ich kehrte also um und musste den Berg wieder hinauf. An der Kreuzung angekommen folgte ich der angezeigten Route. Komischerweise war der dortige Schnee nicht ausgelatscht. Ich beschloss aber, dass ich dem Navigationsgerät zu vertrauen. Eine Irrlauf in der Dunkelheit kurz vor dem Ziel wollte ich nicht riskieren.
Dass dies die persönlich beste Entscheidung war, sah ich kurz darauf von eine Anhöhe, als ich in Richtung meines ursprünglichen Kurses blickte. In dem Flussbett irrten mindestens zwei Stirnlampen scheinbar nach einem Weg suchend herum. Später habe ich erfahren, dass es in diesem Bereich zwei Alternativen gibt und ich auf dem etwas längeren Abschnitt "White Law" unterwegs war. Im Netz wurde dies als Ehrenrunde gedeutet. Allerdings war es lediglich in Anbetracht der Streckenunkenntnis nur die längere Route war auf meinem Navigationsgerät gespeichert. Letztendlich war es ja auch egal. Dem Ziel kam ich näher.
Die Wege wurden zunehmend besser. Die Müdigkeit war vergessen. Der Endspurte verlief auf einer teilweise glatten Teerstraße und ich erreichte das Ortseingangschild von Kirk Yetholm. Nun fielen bei mir alle Dämme und ich begann lautstark die inoffizielle Nationalhymne "Ich liebe Deutscheland" bzw. "We are the Champions" zu grölen. Voller Euphorie lief ich um 20:30 Uhr am eigentlichen Ziel vorbei, da mein Navigationsgerät noch einen Schwenker nach links angezeigt hatte. Letztendlich wurde ich aber von Helfern darauf aufmerksam gemacht, sodass ich unter Applaus und der Ankündigung "This is the first and only german finisher" des Rennleiters Scott an der berühmten Wand als Achtplatzierter anschlagen konnte.
Insgesamt waren bei dem Rennen über die lange Distanz fünf Deutsche und über die Challenger Distanz (Edale bis Hawes) zwei Landsleute am Start. Bei der kurzen Distanz musste Jens in Hebden Bride und Klaus kurz darauf aufgeben. Auf der langen Kante traf es, wie bereits beschrieben, Michael und Andreas das Verletzungspech. Martin musste in Horten und Constanze in Dufton aufgrund des überschrittenen bzw. nahenden Zeitlimits das Rennen beenden. Jeder hatte für sich gekämpft und jeder Schritt bei diesen Bedingungen war eine Leistung.

9. Tapering/Sightseeing

Nach Überreichung der Finishermedaille und des Shirts schälte ich mich aus meinen Schuhen und den Regenklamotten. Kurz darauf gratulierten mir Michael und Andreas, welche den Zieleinlauf am Netz gespannt mitverfolgt hatten, per Telefon zum Finish und gönnte mir einen großes Bier und einen saftigen Burger, welcher komischerweise innerhalb von wenigen Minuten verschlungen war.
Langsam realisierte das Erreichte und ich wollte mir auf einer Couch bequem machen. Gerade als es gemütlich wurde, drängte man mich zum Aufstehen und man fuhr mich zwecks Übernachtung ins Massenlager. Nach Eintreffen im kleinen, engen Gemeindesaal ohne Duschen wurde ich noch wiedermal liebevoll mit Porridge/Tee versorgt und konnte nach einer Katzenwäsche einigermaßen ruhen.
Am darauf folgenden Morgen ließ ich mich zum Bahnhof in Edinburgh fahren, wovon ich per Zug nach Newcastle reiste. Bei Ankunft wurde ich von Michael und Andreas erwartet. Im Schleichgang (Mehr war bei mir nicht möglich) begaben wir uns in Hostel, wo ich mich endlich Duschen konnte. Am Abend ließen den Tag im Pub mit Bier und einen Burger ausklingen.
Am Sonntag, bezogen wir unser Quartier im noblen Hilton (Sparpreis) und fuhren per Bahn ans Meer, wo wir bei einem Strandspaziergang die fantastische Küste genießen und ich meine Beine locker gehen konnte. Abends ließen wir es uns mit indischen Spezialitäten gut gehen. Am Montag, 18.01.2016, fuhren wir per Bahn nach Manchester zum Flughafen. Somit hatten wir uns nach dem Lauf noch ein paar schöne Tage in England gemacht und sind nicht direkt nach Hause geflogen.
Bezüglich der Verpflegung in den Pubs vor, während und nach dem Rennen bin ich mit etwa 145 Pfund (etwa 210 €) gut hingekommen. Die Gesamtkosten des Abenteuers inklusive der Vorausgaben, dem Material beliefen sich somit auf etwas über 3000 €. Es war schon ein teuer, aber lohnenswerter Spaß.

10. Checkpoints Time Split

Start: Samstag, 10:01 Uhr
Torside: Samstag, 14:53 Uhr, Split: 04:52h
Harrop Dale: Samstag, 19:43 Uhr, Split: 04:49h
Hebden: (CP1) Sonntag, 03:47 Uhr, Split: 08:04h
Malham: Montag, 00:12 Uhr, Split: 20:24 h
Hawes (CP2): Montag, 16:49 Uhr, Split: 16:37 h
Tan Hill: Dienstag, 03:09 Uhr, Split: 10:19h
Middleton (CP3): Dienstag, 11:00 Uhr, Split: 7:51h
Dufton: Dienstag, 23:49 Uhr, Split: 13:49h
Alston (CP4) Mittwoch, 09:11 Uhr, Split: 9:21h
Greenh'd: Mittwoch, 23:34 Uhr, Split: 14:22h
Bell'ham (CP5): Donnerstag, 10:05 Uhr, Split: 10:31h
Byrness: Freitag, 03:16 Uhr, Split: 17:10h
HUT 2: Freitag, 16:15 Uhr, Split: 12:58h
Finish: Freitag, 20:30 Uhr, Split: 4:15h

11. Fazit

Aufgrund meiner Renneinteilung wurde mir von den Engländern der Spitzname "The Dachs" zuteil. Diese waren überrascht, dass ich als Rookie tagsüber an den Checkpoints geschlafen und die Nacht zum Laufen genutzt habe. Diese war allerdings nicht der Tatsache geschuldet, dass ich so eine Nachteule bin. Ich wurde eher in diesen Rhythmus gezwungen, da wir Anfangs recht gemächlich unterwegs waren und die Zeitlimits immer so gelegt waren, dass man am späten Abend weiterlaufen musste. So war ich irgendwann in dem festen Trott und wollte auch meinen Puffer für den CutOff ausbauen. Trotzdem habe einige unvergessliche Landschaften erblickt, welche mir sicherlich lange in Erinnerung bleiben werden. Auch finde ich den Spitzname ganz in Ordnung.
Insgesamt war ich 154:29 Stunden unterwegs, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 2,8 km/h inklusive der Schlafpausen entspricht. Ich konnte das Rennen unter den Top 10 beenden. 23 Personen kamen ins Ziel. 44 Starter mussten vorher aufgeben bzw. scheiterten am Zeitlimit. Ich machte im fortschreitenden Verlauf immer mehr Positionen gut. Aufgrund des gemächlichen Anfangstempos hatte ich zum Schluss ausreichend Reserven, wodurch ich meine Ruhephasen kurz halten konnte. Mein Ziel war erreicht. Die Platzierung war und ist mir bis heute noch Piep egal. Meine Renneinteilung war optimal. Bei einem schnelleren Anfangstempo wäre ich sicherlich schon am vierten Tag eingegangen wie eine Pflunder.
Aber auch ich merkte im siebten Abschnitt, dass ich an meine Grenzen gelangt war und das Rennen nicht hätte länger dauern dürfen. Dies zeigte auch mein Schlafverhalten der Woche nach dem Zieleinlauf. So hatte ich mit Schlafstörungen zu kämpfen und wachte mehrfach schweißgebadet in der Nacht auf. Ich träumte einfach noch davon, dass ich im Zombiemodus durch den Schnee gestampft bin und mitten im Tiefschnee an mein Bett stand. Ich schlief wieder ein und das Spiel begann von neuem. Das nennt man wohl PTSD (Post Traumatic Spine Disorder). Glücklicherweise habe ich mich hiervon wieder erholt.
Auch mein Körper zeigte die folgenden sechs Wochen deutliche Symptome. Ich kam einfach nicht auf Tempo und war träge wie eine Schnecke. Diese Regenerationszeit gönnte ich meinen Körper und kann nun sagen, dass ich ohne Folgeschäden diese Strapaze überstanden habe. Der Start hat sich somit gelohnt. Ich habe meine Entscheidung bezüglich des Starts nicht bereut, wenn auch ich zwischendurch arge Zweifel aufkamen.
Abschließend kann ich sagen, dass dieses Rennen einmalig und mit keinem Rennen in Deutschland vergleichbar ist. Man wird mehrfach an die Grenzen/Belastbarkeit seines Körpers geführt. Die Bedingungen im Frühjahr und die widrigen Wegstrukturen machen dieses Rennen einmalig. Die Distanz ist hierbei das geringste Problem. Dafür lebt und läuft man als Ultrasportler. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen und sie wird mir bei den nächsten Abenteuern weiterhelfen.
Ich werde mich nie wieder über das Wetter oder die Wegbeschaffenheit in Deutschland schimpfen. Seit dem Spine kenne ich kein schlechtes Wetter mehr. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Kurz um. Man muss diese "Scheiße" einmal erlebt haben.

Ich habe fertig. :-)